Aus: DIE ZEIT


Von Christel Buschmann


„Frankenstein – Aus dem Leben der Angestellten“, von Wolfgang Deichsel. Gesammelter Alltagshorror, theatersprachlich verschönt: 50 szenische Kurzdialoge aus dem Leben mehr oder weniger kaputter Angestellter, die oft und gern Kritisiertes besagen: Um unsere Gesellschaft steht es nicht zum Besten. Die Gespräche aus der Arbeitswelt à la Frankenstein winken zwar mit dem bekannten Zaunpfahl (der Irrsinn ist normal und das Normale irrsinnig), aber oft Gesagtes ist nicht darum schon weniger erwähnenswert. Brutalitäten im Arbeitsalltag erscheinen als das Ergebnis abgestumpfter Arbeitsroutine von Leuten, die unter Druck abgeschaltet haben, kleinen abhängigen Robotermenschen, die vor lauter Funktionieren sogenannt menschlicher Regungen verlustig gingen. Über alles die Pflicht, und sei sie noch so absurd. Wer nicht so einfach abschalten kann, schaltet ganz aus; er bringt sich um oder hüllt sich tagelang in Gardinen ein oder verklemmt sich hinter einem Bett, wird unfähig, ein Gespräch zu führen, oder reduziert sein Reaktionsvermögen auf das einer Eßmaschine, die auf Leuchtsignal Nahrung aufnimmt. Ein Unfallforscher beschreibt sehr vage den Kern allen Übels. Er sucht eine Zeitungsredaktion auf und will eine Entdeckung gemacht haben. Er hat beobachtet, daß „an jeder Unfallstelle Personen stehen, die keine Miene verziehen“. „REDAKTEUR: Sicher. FORSCHER: Und was heißt das, wenn einer keine Miene verzieht? REDAKTEUR: Was? FORSCHER: Er weiß Bescheid. Er weiß vielleicht noch nicht, wer an dem Unfall Schuld war, aber sonst übersieht der alles. REDAKTEUR: Was soll denn da sonst sein?“ Was da sonst noch sein soll, so glaubt der Forscher, ist da nicht mehr, weil „die Zuschauer selbst schon einen Unfall gehabt haben, in dem sie mindestens schwer verletzt wurden. Ich gebe zu, das ist alles schwer zu beweisen, aber wenn die allgemeinen Hintergründe dieses Verhaltens aufgedeckt sind, dann springt da mehr heraus als diese kleinen Tagesartikelchen über einzelne Unfälle, dann kann man da eine Serie draus machen.“ Die allgemeinen Hintergründe solchen Verhaltens deuten sich in Deichseis kleinen Dialogen über einzelne Un- und Vorfälle zwar zart an, aber aufgedeckt werden sie genausowenig. Was aber wohl auch nicht im Interesse des Autors gewesen sein konnte, in dem Augenblick, als er sich für eine so kurze Kurzform entschieden hatte. Was der Autor aber bei der Wahl seines Themas gewollt haben muß: daß man es im Zusammenhang sieht mit dem Effekt, den die schriftstellerische Aufbereitung erzielen könnte. Und hier kann man dann wieder das alte Lied anstimmen: künstlerische Leistung und gesellschaftlicher Nutzen – wie geht das auf? Der vorliegende „Frankenstein“ ist die Weiterführung des 1970 in Zürich uraufgeführten „Frankenstein 1“. (Verlag Klaus Wagenbach, Berlin; 72 S., 5,80 DM.)

Kritik in Kürze


Wolfgang Deichsel "Frankenstein - Aus dem Leben der Angestellten"

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CHRISTEL BUSCHMANN

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