Aus: DIE ZEIT


Von Christel Buschmann


Liebes-Paare? Interessant. „Expertengespräche“? Goldrichtig – mag manch einer denken und sich das falsche Buch kaufen.


Wo immer der Leser das Buch aufschlägt, nirgends steht Pikantes aus dem Liebesleben. Überall erwartet ihn Zähflüssiges zum Thema Sprache und Kommunikation. Wenn mal ein Liebespaar vorkommt, dann ist es schon tot:


„W Man könnte also zusammenfassend sagen, daß bei der Aufpilzung des Geschoßkopfes keine Mantelsplitter entstehen und daß dadurch die Geschoßmasse zum größten Teil erhalten bleibt


E2 Entzückt jajajajaja genau Geschoßrestgewichte von 60–70 Prozent des ursprünglichen Gewichts


W durch die anhaltende Energieabgabe


P 1 Die Frau war ja unbekleidet, und am Mann da ließ sich eine Erektion feststellen, die darauf zurückzuführen ist, daß es sich um eine Art von Liebespaar gehandelt hat.


W Dann entsteht natürlich zwangsläufig eine außerordentlich starke Schockwirkung und eine damit verbundene Tötungseffizienz


El Verhalten begeistert. Soll sich auch nicht beim Knochenaufprall zerlegen


P2 Hinter dem Busch, dem Gehölz, in der Niederung, also Pause in der Mulde da“


So wenig Unterhaltsames zum Thema Unterhaltung wird wenige vom Sitz reißen. Noch dazu, wo es sich bei den Liebhabern um Waffenliebhaber (W) und bei den Experten (El und E2) um Waffenexperten handelt. Sie unterhalten sich im ersten von fünf Gesprächen „Ohne Ballistol geht es nicht“ über den Mord an einem Liebespaar, das heißt: sie unterhalten sich nicht darüber oder unterhalten sich doch darüber insofern, als Unterhaltung (immer mehr) Nicht- Unterhaltung bedeutet. Sprache verkommt zur Sprachlosigkeit. Das Verhör (P1 und P2 bezeichnet zwei Polizisten), das Auflärung über den Liebespaarmord geben soll, wird zu einem Meinungsaustausch über Waffen. Der „Sachverstand“, so versucht der Klappentext eine Erklärung, „kennt keine Rücksicht“, er ist nur „auf sich selbst bezogen“. Schließlich wird nur klar, wonach nicht gefragt war;„eines der wichtigsten Kapitel ist der Reinigung und Sauberhaltung von Waffen gewidmet. „Wer kein Knochenöl hat, der ist verloren ... Ohne Ballistol geht es nicht.“


„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“ Auch Kieseritzkys „Sachverstand“ kennt keine Rücksicht; es spricht der Wittgenstein-Experte. Der nimmt nun zum vierten Mal die „Schändung des lesenden Konsumenten“ vor, wie ein Kritiker bei einer früheren Veröffentlichung formulierte. Sie fällt in diesem Fall, da der Autor mit dem Titel genüßlich in die Irre führt, besonders perfide aus. So einfach „lesen“ läßt sich also auch Kieseritzkys viertes Buch nicht; es läßt sich allenfalls durcharbeiten und nicht verstehen und doch verstehen, wenn man das Nicht-Verstehen als eine Erfahrung begreift, die Kieseritzky vermitteln will. Sprache, um es so zu sagen, hält nicht das, was sie (ver)spricht.


Bisher erschienen von Kieseritzky: „Ossip und Sobolev oder Die Melancholie“ (1968); „Tief oben“, Roman (1970); „das eine wie das andere“, Roman (1971). 1970 bekam Kieseritzky den Förderungspreis für Literatur des Großen Kunstpreises von Niedersachsen, was einem Kritiker immerhin zu beweisen schien, „daß nichts so zahnlos sein kann, um nicht mit einem Kunstpreis gefüttert zu werden“; 1973 erhielt er das Stipendium Kunstpreis Berlin. Er kann sich rühmen, selten, aber zumeist hochachtungsvoll besprochen worden zu sein, von Leuten, die ihn mit Beckett vergleichen und seine Produkte „literarische Ereignisse“ nennen.


Aus der Tatsache, daß Kieseritzkys Hauptthema in all seinen Büchern die Sprache ist, die anstelle Kommunikation Verwirrung bewirkt, aber – und das ist wiederum absurd – eine Notwendigkeit zum Überleben bedeutet („Wer mehr spricht, der überlebt“, heißt es schon in „Tief oben“), folgt zwangsläufig eine gewisse Gleichförmigkeit der Besprechungen. Sich bei der Rezension der „Liebes-Paare“ von früheren Besprechungen wesentlich unterscheiden zu wollen, hieße das, was nicht da ist und nicht da sein soll, nämlich eine Handlung, mühsam und ohne Berechtigung zusammenklauben. Es läßt sich allenfalls sagen, daß nach den Waffenliebhabern vier Freundinnen zu Wort kommen, dann zwei Hexenmeister, dann Arzt und Patient, dann fünf FBI-Beamte. Sie alle warten mit einem „Sachverstand“ auf („Sachverstand“ als Resultat dessen, was Wittgenstein die „Sachverhalte“ nennt, aus denen die Welt besteht und die voneinander unabhängig sind), der brutal auf sich bezogen bleibt und in allen Gesprächen den Zusammenbruch menschlicher Verständigung bedeutet. Alle reden aneinander vorbei, aber sie reden, weil sie reden müssen.


Die beiden widerstreitenden Erkenntnisse, Wittgensteins „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen“ und Kieseritzkys „Wer mehr spricht, der überlebt“, treten hier in einen auch dem Laien erkennbaren Widerstreit, der aufregend ist, weil er an die Substanz menschlicher Artikulation geht und ebenso – und anders – wie der Titel des Buches in die Irre führt.

Sprachlos


Kieseritzky: "Liebes-Paare"

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CHRISTEL BUSCHMANN

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