Aus: DIE ZEIT


Von Christel Buschmann


Verbissen hält sich die Männerwelt an das stereotype Klischee vom politischen und auch sonstigen Unverstand der Frauen, reproduziert hartnäckig das pauschale Urteil, Weiblichkeit und beruflicher Erfolg schlössen einander aus, und diffamiert nicht selten mit System die Karrierefrau gern als geschlechtslos.


Nicht wenige Männer begeistert auch heute noch, was 1907 der in der Fachwelt nicht unbekannte deutsche Psychologe P. J. Moebius in seinem grundlegenden Werk „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ zu berichten wußte: „Außerordentlich wichtige Teile des Gehirns, die für das geistige Leben notwendig sind, nämlich Stirnwindungen und Schläfenlappen, sind bei Frauen weniger stark ausgebildet, und dieser Unterschied ist angeboren.“ Durch die unterentwickelten Denkorgane entscheidend gehemmt, greife das Weib zu „Heuchelei und Lüge“ als, wie Moebius großzügig zugesteht, „naturgegebene und unentbehrliche Waffe“.


Geistigkeit wird immer noch weitgehend als Privileg der Männer angesehen, ebenso wie die Bestimmung des Wertes einer Frau. Der Wert beziehungsweise Gebrauchswert einer Frau wird in einer vom Mann institutionalisierten und beherrschten Welt infolgedessen auch vom Mann vermittelt und hängt fast überall noch ab vom Maß der Befriedigung des Mannes durch die Frau als Arbeitskraft und Luxusartikel. Daran konnte die Frauenbewegung, deren Beginn in die Zeit der Französischen Revolution fällt, bis heute nichts Entscheidendes ändern.


Der Anthropologe Hoffmann R. Hays deckt Ursachen für die trotz formeller Gleichberechtigung bestehende gesellschaftliche Ungleichheit von Mann und Frau auf, findet einleuchtende Motive für die Irrationalität der gängigen Argumentationen im Kampf der Geschlechter, und setzt sich ein für deren Überwindung. Sein Buch ist ein realistischer Leitfaden, der Stagnation des Emanzipationsprozesses zu begegnen, die nach einer grundlegenden sozialen Umschichtung, die der Frau zumindest eine partielle Befreiung von der Herrschaft des Mannes einbrachte, eingetreten ist. Statt wortgewaltig utopische Fernziele zu entwerfen, leistet Hays informative, produktive Aufklärungsarbeit.


Aus einem, wie es scheint, unerschöpflichen historischen, literarischen, psychologischen und vor allem ethnologischen Material entwickelt Hays überzeugend seine Theorie: „... der Primitive lebt – er lebt, wenn auch verborgen unter der Maske moderner Technologie, im Menschen unserer Tage weiter.


Hays analysiert Mythen vorgeschichtlicher Gesellschaften und primitiver Völker und beschreibt eine Unzahl von Riten, durch die der Mann sich in den primitiven Sozialstrukturen vor dem vermeintlich gefährlichen Geschlecht zu schützen suchte, Abwehrhandlungen, die durch die Jahrhunderte bis in die unmittelbare Gegenwart hinein wirksam geblieben sind, ob es sich um Hexen Verfolgung des Mittelalters, den in der Bibel ein für allemal fixierten Frau-Geschlecht-Sündenkomplex oder die frauenfeindliche Literatur Shakespeares, Balzacs, Baudelaires, Poes, Strindbergs oder Wedekinds handelt.


Hays bleibt nicht bei der Beschreibung dieser Tradition stehen, sondern verfolgt im weiteren die interessante Frage nach den Motiven, die ausschlaggebend gewesen sein könnten, den von vornherein ohnehin mit der Herrschaft der Welt beauftragten und physisch überlegenen Mann zu einer derartigen Fülle von Abwehrmaßnahmen und Sicherungen gegenüber der Frau zu treiben. Und er kommt zu dem Schluß: Männliche Angst war der Urtrieb, der gesellschaftliche Regelungen und Einrichtungen ins Leben rief.“ Entscheidend für die Emanzipationsproblematik sind, wie Hays in Anlehnung an Freud ausführt, zwei Grundkonflikte in der Persönlichkeitsstruktur des Mannes: Kastrations- und Fremdenfurcht.


Somit verfolgt auch Hays die oft zitierte These, die vielleicht mit Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“ ihre größte Verbreitung fand: daß einer Emanzipation der Frau erst eine Emanzipation des Mannes vorausgehen müsse. Die Bedrohung durch das Weibliche liegt nach Hays’ sicher auch männliche Leser überzeugenden Theorie im Mann selber. „Mythos Frau“ bedeutet einen kleinen Schritt – und nur kleine Schritte sind realistisch – auf dem sicher noch endlos langen Weg zur produktiven Freiheit beider Geschlechter, setzt sich ein für einen Kampf der Geschlechter füreinander und stellt eine Kampfstrategie nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, wie sie beispielsweise im „Kursbuch 17“ formuliert wurde, zumindest in Frage: „Für die Neger wie für die Frauen geht es jetzt darum, die Geschichte der Gewaltanwendung zu erkennen und die Gewalt, deren Produkt sie sind, gegen die Unterdrücker selbst zurückzuwenden, sich vom Status des Opfers und Objekts in den des Subjekts und Handelnden zu versetzen.“


Im Anschluß an Hays müßte ein Buch folgen, das sich ebenso intensiv mit der Frage beschäftigt, warum nicht nur Männer, sondern auch Frauen sich nicht gern von Frauen befehligen lassen, warum Frauen sich nicht solidarisieren, es sei denn mit Männern gegen andere Frauen. Denn die Frau hat in einem jahrhundertelangen Prozeß die Gewalt, die auf sie ausgeübt worden ist, verinnerlicht. Das Bewußtsein einer Unterdrückung durch das gesellschaftliche Monopol des Mannes ist verdrängt worden und muß wieder erfahrbar gemacht werden, um die Stagnation im Emanzipationsprozeß zu überwinden.

Die Angst der Männer… …reduziert die Frau auf ein Wesen zweiter Klasse


Hoffmann R. Hays: „Mythos Frau“

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CHRISTEL BUSCHMANN

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