Kritik in Kürze


Ted Berrigan "Guillaume Apollinaire ist tot. Und anderes"

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CHRISTEL BUSCHMANN

Autorin          Regisseurin

Uebersicht

Aus: DIE ZEIT


Von Christel Buschmann


Einen komplikationslosen Zugang zum Verständnis und Selbstverständnis Ted Berrigans und dieses seines Lyrikbandes (Prosastücke sind selten) schaffen die in 75 Punkten zusammengefaßten „Notizen“ von Rolf-Dieter Brinkmann, der amerikanische Beat-Autoren-Interessen sachverständig in Deutschland vertritt; sie sind der vor einem Jahr erschienenen Anthologie neuer amerikanischer Lyrik „Silver Screen“ vorangestellt, die neben Gedichten von O’Hara, Bukowski, Padgett, Blackburn, Warsh und vielen anderen das angeblich wichtigste Produkt der jüngeren USA-Lyrikergeneration enthält: Berrigans „Tambourine-Life“. Der neue Lyriktyp ist theorie- und autoritätsfeindlich, belehrt nicht, versinnbildlicht nicht, erhebt nicht, verschafft keine Scheinlegitimität, indem er sich zwecks Bewältigung Sprachprobleme erzeugt; sondern er beschreibt, was es zu sehen gibt. Die Gedichte sind „momentane Kombinationen von sinnlichen Erfahrungen", als eine Art Blitzlichtaufnahmen zu Papier gebracht und ausschließlich an die dichtende Person, ihre Umgebung und ihre Gegenwart gebunden. Demonstrative Titel wie „Persönliches Gedicht Nr. 1, 2, 3 usw.“ und zahlreiche außerhalb der Gedichte vermittelte Informationen zur Person Berrigans (Interview, Familienphotos, Briefe, Lebenslauf, Kritiken, Beschreibungen seiner verschiedenen Tätigkeiten) lassen keinen Zweifel an dem neuen erfrischenden Selbstbewußtsein, mit dem Berrigan metaphorische und sprachliche Kunststücke zugunsten spontaner, unverkrampfter und sensibler Abbildung gegenwärtiger persönlich erfahrener Realität unversucht läßt. Für die amerikanische Lyriker-Avantgarde typische Sätze wie „Ich kann ruhig zugeben, nichts damit zu meinen", entledigen auch die Rezipienten ihrer Gedichte leidiger Interpretationsverpflichtungen und machen sie frei für die Lust am Gedicht. Berrigan ist siebenunddreißig Jahre alt, publizierte in allen relevanten Lyrikblättern (Poetry, Fuck You, Mother, Angel Hair, Lines, C, The World) und lehrt zur Zeit am poetry Workshop der Universität Iowa. (März Verlag, Frankfurt; 256 S., 20,– DM)

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